Selbst kleinste Lügen schaden vor allem dir selbst

Ein Mensch lügt im Schnitt 1-2 mal täglich. Das klingt erst einmal nicht viel – ist es vielleicht auch nicht, wer entscheidet das schon. Die meisten dieser Lügen sind sogenannte „weiße Lügen“, also kleine Schwindeleien, die meistens dazu dienen, andere nicht zu verletzen, Konflikte zu vermeiden oder die soziale Interaktion zu erleichtern. Wusstest du aber, dass jede einzelne dieser kleinen Lügen etwas mit dir macht?

Du gibst nämlich folgende Signale an dich selbst:

Ich darf mich nicht zeigen mit all meinen echten Bedürfnissen, Wünschen, Werten und Facetten“: Wie oft antworten wir einfach mit „Gut“, wenn wir gefragt werden, wie es uns geht? Natürlich geht es uns nicht immer gut. Wir wollen aber kein Miesepeter sein oder der anderen Person nicht zumuten, mit unserer echten Antwort umgehen zu müssen. Das Signal an mich selbst ist allerdings in diesem Fall, dass andere nur gerne Zeit mit mir verbringen, wenn ich unkompliziert bin und mich möglichst viel nach den anderen richte, keinen Raum einnehme. Ich gebe meinem eigenen System also mit jeder einzelnen dieser kleinen Lügen das Gefühl, ich bin nicht liebenswert, wenn ich meine Bedürfnisse vertrete und mich wirklich zeige. Stattdessen sagen wir „Kein Problem“ und „Passt schon“, „Ist mir egal“ und „Da richte ich mich gerne nach dir“.

Übrigens heißt das natürlich nicht, dass wir jeder Person unsere tiefsten Themen erzählen müssen, die uns gerade umtreiben. Auch hier können wir für uns sorgen, indem wir ehrlich sind, aber eben trotzdem Grenzen setzen. Beispielsweise können wir ehrlich sein, indem wir sagen „Mir geht es im Moment nicht so gut“ und unsere Grenze setzen, indem wir hinzufügen „Ich möchte aber gerade gar nicht darüber sprechen“. Wichtig ist, dass wir das natürlich nur sagen, wenn wir wirklich nicht darüber sprechen möchten und nicht, weil wir eben keinen Raum einnehmen wollen oder Angst haben, was die andere Person denken könnte.

Ich bin nur liebenswert, wenn ich ein bestimmtes Bild abgebe/ mich anpasse/ die Erwartungen erfülle“: Statt meine echten Werte zu vertreten und mich so zu zeigen, wie ich wirklich bin, signalisiere ich mir selbst mit jeder dieser kleinen Lügen: Ich darf nicht ehrlich sein, sonst mag man mich nicht mehr. Das kann schon mit kleinen, vermeintlich unwichtigen Themen beginnen, wie die Zustimmung zu etwas, was wir eigentlich ganz anders sehen oder empfinden. „Schau mal, dieses Kleid ist ja total schön“ – „Ja stimmt“. Obwohl es mir eigentlich nicht gefällt. Auch wenn es in diesem Fall erst einmal keinen Unterschied zu machen scheint, macht es eben doch einen. Und zwar für dich selbst. Probier doch einmal aus, dir vor jeder dieser Antworten kurz einen Moment zu überlegen, wie du das wirklich siehst. Und wenn du dich noch nicht traust, es auszusprechen, dann erlaube dir zumindest einmal vor dir selbst, es dir zuzugestehen, es anders zu sehen.

Ich muss die Gefühle der anderen Person regulieren, damit sie weiterhin mit mir zu tun haben will“:

Wie oft greifen wir auf kleine Lügen zurück, um eine Verabredung oder einer Einladung abzusagen, auf die wir keine Lust haben. Wir möchten die andere Person nicht kränken oder enttäuschen, haben Angst, dass die Freundschaft deshalb kaputt geht und haben vor allem keine Lust auf die eigenen Schuldgefühle, die wir aushalten müssten, wenn wir ehrlich wären.

Durch diese kleine Lüge verstärken wir aber immer wieder den Glaubenssatz, nicht selbstbestimmt für uns sorgen zu dürfen, sondern die anderen im Außen und deren Gefühle priorisieren zu müssen. Das ist aber natürlich nicht wahr. Unsere Aufgabe ist es zuerst einmal für uns selbst zu sorgen, uns selbst und unsere Bedürfnisse zu priorisieren. Du darfst – du musst sogar – deine eigene Sauerstoffmaske zuerst aufsetzen. Das heißt, du darfst auch, wenn das nötig ist und sich nicht vermeiden lässt, die Gefühle anderer verletzen oder enttäuschen und das darf im Anschluss ausgehalten werden. Niemand macht das gerne, manchmal lässt es sich aber nicht vermeiden und das ist ok. Wir dürfen alle wieder lernen, das selbst auszuhalten und es der anderen Person zuzumuten, denn auch sie kann das aushalten. Solange wir dabei trotzdem respektoll sind, machen wir nicht automatisch etwas kaputt.

Übrigens kann dir auch helfen, darauf zu vertrauen, dass durch das rigorose Verzichten auf noch so klitzekleine Lügen, die für dich richtigen Menschen trotzdem bleiben werden. Die Menschen, die du dadurch möglicherweise verlierst, sind sowieso nicht deine Menschen.

Insgesamt kann man sagen, Lügen bringen folgende Konsequenzen mit sich:

  1. Selbstverleumdung: Ich entferne mich durch Lügen von mir selbst. Auch schon kleine Lügen können mein ganzes inneres System in Stress versetzen, innere Konflikte auslösen und dadurch für physische und psychische Disbalance und Unwohlsein sorgen.
  2. Wessen Leben führe ich überhaupt? Indem wir lügen, gibt es eine Diskrepanz zwischen unserem inneren Empfinden und unserer äußeren Handlung. Das sorgt dafür, dass wir unsere Integrität verlieren und in einem ständigen Gefühl der Disharmonie leben – was wiederum ein erfülltes Leben unmöglich macht.
  3. Psychologische und körperliche Auswirkungen: Lügen können zu chronischem Stress führen, zu Angstzuständen, Depressionen, Schlafstörungen, Verdauungsproblemen und sogar zu chronischen Krankheiten.

Und was jetzt?

Die gute Nachricht ist – wir haben die Wahl und haben es in der eigenen Hand! Wir können uns neu entscheiden und uns radikale Ehrlichkeit angewöhnen. Mit radikal ist natürlich nicht gemeint, dass wir dabei rigide und rücksichtslos sind, sondern dass wir uns ausschließlich für Ehrlichkeit entscheiden. Die Umsetzung darf dabei natürlich respektvoll und trotzdem klar sein.

  1. Entscheidung für deine Wahrheit: Indem du dich in jeder einzelnen Situation für dich und deine ehrliche Reaktion entscheidest, sorgst du dafür, in Übereinstimmung mit deinen Werten und deinen Bedürfnissen zu leben. Das ist nicht immer einfach und die Wahrheit kann schmerzhaft und unangenehm sein – aber es lohnt sich und sorgt für dein stimmiges Leben.
  2. Echte, tiefe Beziehungen durch Ehrlichkeit: Auch wenn die Wahrheit unangenehm sein kann, sie sorgt auch für echte Verbindung und Nähe. Die Beziehungen in deinem Leben haben dadurch die Chance, ganz neue Qualität zu gewinnen. Außerdem lädst du andere Menschen in deinem Leben automatisch dazu ein, das gleiche zu tun, wenn du radikale Ehrlichkeit vorlebst.
  3. Freiheit: Durch die Entscheidung für deine Wahrheit und Ehrlichkeit, entscheidest du dich für dich und für Selbstakzeptanz. Du durchbrichst automatisch alte Muster und signalisierst dir selbst jedes einzelne mal, dass du es dir wert bist, dich selbst zu priorisieren. Außerdem lernen wir uns auch selbst noch viel besser kennen, was wir wollen, was wir nicht wollen, wer wir sind, wofür wir stehen etc. Es bringt uns uns selbst näher, weil wir uns diese Fragen jetzt erst stellen, seitdem wir selbst auch an den echten Antworten interessiert sind. Es ist also ein ganz neuer Denkprozess entstanden, neue Synapsen, die jetzt nicht mehr automatisch überlegen „Was will die andere Person hören?“, sondern „Was denke ich wirklich dazu? Was möchte ich wirklich?“.

Beobachte doch mal in nächster Zeit, wann du zu kleinen Lügen neigst und lege dir ein paar neue, ehrliche Optionen zurecht. Es hat sich auch bewiesen, sich etwas Zeit zu verschaffen, wenn das die Situation zulässt. Dann hast du die Möglichkeit, erst einmal in dich reinzuhören, was du wirklich möchtest, oder was du wirklich dazu denkst und was für dich stimmige Worte sind, das ehrlich zu kommunizieren. Probier es mal aus und reflektiere abends, wann es dir heute gut gelungen ist und wann vielleicht noch nicht – am besten mit einer neugierigen und wohlwollenden Haltung dir selbst gegenüber. Wie immer helfe ich dir natürlich gerne dabei, falls du alleine nicht weiterkommst.

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